Gesellschaftsrisse heilen
Aufklärung gefragt
Terrorismus. Ein weites Feld, ob von seiner makrologischen oder mikrologischen Dimension her. Pflichtübungen der „Reaktionäre“, es haben Anschläge Schockaugenblicke, Angst und Schrecken ausgelöst und Menschen geschlachtet, brutal aus dem Leben gerissen und greifbare Terroristen sind zur Strecke gebracht worden: Trauerbekundung, Diskussionen und Forderungen, dem Übel beizukommen. In der Summe der Konsequenzen: Prävention durch repressive Maßnahmen vom hohen Ross hehrer Rechtstaatlichkeit, eines wohlbesorgten Gesellschaftsstandards und freiheitlicher Chancen der Selbstverwirklichung.
Das Selbstbild steht nicht in Frage, gibt sich makrologisch als Kampf der Zivilität gegen Barbarei kund. Mikrologisch als Abwehrreaktion gegen einen Besessenen, sei es als finales Unschädlichmachen oder bei Greifbarkeit das entsorgende Wegsperren. Vorsorge gilt schärferen Gesetzen, härteren Strafen, besseren Beobachtungs- und Zugriffsmöglichkeiten wie auch angemessenen materiellen, technischen und personellen Ausstattungen. Makrologisch und mikrologisch regiert das Freund-Feindbild. Da ist nichts mehr zu hinterfragen.
So die gesellschaftliche Spaltung in US-Amerika. Die einen verstehen die anderen nicht. Das Freund-Feindbild ist vorherrschend. So in der deutschen Landschaft der Parteien, die aussätzige Partei versus die anderen. So die terroristisch Verselbstständigten aus dem eigenen Land. Einfach nicht zu verstehen. Dann wieder anders herum, ein Verstehen, woher der Wind weht: Islamismus. Diese Verstehenden müssen wohl Kantianer sein, zeigen den Mut zum eigenen Denken, sich so allerlei an Aufgeschnapptem unter diesen abscheulichen Wahnbefangenen vorzustellen.
O höhere Einsicht, wenngleich auch nur abstrakt! Die amerikanische Freund-Feind-Aufspaltung, was Demokraten und Republikaner, Schwarze und Weiße angeht, so die Einsicht, kann ein Krieg nicht die Lösung sein, ist Versöhnung für das Zusammenleben gefragt. Aber wie soll der Prozess, hin zum friedlichen Zusammenleben, vonstattengehen. Gute Ideen sind gefragt, die tauglich sind, in die Tat umgesetzt zu werden. Wer sieht nicht viele große Fragezeichen?
Von Kant zu Hegel. Letzterer hat die Marktfrau hinterfragt, die in der Tautologie gefangen war, dass ein Mörder ein Mörder ist und für seine Tat von der Strafe ereilt wird. Ein klares Subsumtionsverhältnis in der Schrittfolge. Der Mörder hat gemordet, folglich ist er ein Mörder, der bestraft werden muss. Der zu bestrafende Mörder tritt seinen letzten Gang an. An der Hinrichtungsstätte trifft ihn die Strafe. Was gibt es da noch viel zu verstehen? Die Phantasie weiß sich befriedigt, sieht nicht mehr den Menschen, sondern verkommene Gestalt, die fürchterlich gemalte Tat, den gestellten, verurteilten Rechtsbrecher und weiß sich durch Hinrichtung befriedigt.
Hegel rollt das Verstehenwollen anders auf, hinterfragt das Lebensdrama von der Tatentstehung bis hin zum Schafott. Kürzungshalber: Wir wissen um Fehlurteile, die das vordergründige Genügen als Fehlleistung in Frage stellen und vernunftbestimmt auf das Vergewissern des Hintergrundes abstellen, sei es kontrollbewusst in vielerlei Hinsicht oder aus dem Ganzen Lehren zu ziehen. Nicht zuletzt ggf. einen Unschuldigen vor der Vollstreckung des Todesurteils zu bewahren.
Hegel liefert über dieses Aufklärungsbeispiel eine prinzipielle Gedankenfigur, um den Hiatus, der dem Freund-Feind-Denken innewohnt, überwinden zu können. Die anregende Reflexion habe ich bei Pirmin Stekeler gefunden („Kategorie der Quantität“, in WdL, Hrsg. O. Höffe. S. 55f), der die deiktische Grundgestalt des Verstehens im Spracherwerb vor Augen gebracht hat, welcherart das Triangulum beschaffen ist, um einander durch und durch zu verstehen und für Verständigung erschlossen zu werden. Er geht von der gemeinsamen Lebenssituation in der Mutter-Kind-Beziehung aus, die Sequenzen des gegenseitigen Erlebens in Bezug auf ein Etwas, perspektivisch im Blick wie auch im Wechselwirkungsbezug des Vorantastens, des Korrigierens und Wiederholens, Verhaltensmuster, die nicht nur beim Kind, sondern auch bei der Mutter sich ausbilden, verstanden und abgerufen werden können.
Verschiedene Mütter und schon wird mancherlei nicht mehr verstanden und kann nicht mehr abgerufen werden oder gar enttäuschende Reaktionen, weinerlich oder abwehrend, finden statt. Es bedarf dann vieler einfühlsamer Annäherungen, um ein Lächeln zurückzuerobern und ein freudiges Wiedererkennen geschenkt zu bekommen. Einfühlung ist das Zauberwort, aber in der politischen Debatte und Kontroverse verpönt. Das strenge Wort, Aburteilen, Verspotten, Androhen und Aufplustern bis hin zur Berufung auf die vortreffliche Verfassung finden statt. In solcher Weise gewinnt weder die fremde Mutter das Vertrauen schreienden Kindes zurück, noch gewinnt die Politik die jungen dystopischen Menschen, auf irrlichternden Pfaden, zurück.
Prinzipieller ist das Dilemma widerstreitender Identitäten in der chinesischen Weisheitslehre in alter Zeit geführt worden, im Ergebnis sozusagen, dass zwischen Ich und Du kein übereinstimmendes Verstehen zweier möglich sei, ein Widerstreit nicht durch beider Übereinstimmung aufzuheben sei. Auf diese Ebene ließe sich auch die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft heben, die vor der Frage steht, wie denn dieser gesellschaftliche Riss von der Frühphase der Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika an überwunden werden kann, der Unterschied von Ich und Du, Ureinwohner und Einwanderer, Schwarz und Weiß sich identitätsgewiss im Unterschied gleich anerkannt und wertgeschätzt weiß, nicht nur formell, auch inhaltlich, lebenswert.
Was hier im Beispiel die Vorstellungshilfe der Mutter-Kind-Beziehung ist, findet als Ebene des Genügens in der Welt der Sinnlichkeit zugunsten der Ebene Intelligibilität und der geistigen Konstitution der Welt, vom vernunftbegabten Mensch her erkannt, Aufhebung für den gattungsspezifischen Verwirklichungsprozess.
So Hegel, seine Philosophie. Das Vehikel der Verwirklichung ist die „Bildung“, die Menschenbildung, auf Wissenschaft des Ganzen für den wollenden und handelnden Menschen hinaus. Deutschland hat den Schritt nach dem II. Weltkrieg getan, sich von der Menschenverachtung des Nationalsozialismus zu befreien, sich aus arisch-rassistische Apartheitsmentalitäten zu lösen. Das hat zwischen Arm und Reich, Gesocks und Dünkelhöhe, Abhängig und Unduldsam in vielerlei Schattierungen funkenfliegende Spannungen allenthalben gegeben. Doch die Weichenstellungen sind geschafft, von der gemeinsamen Kita und Grundschule für alle zurzeit, von der demokratischen Pluralität und den allgemeinen kulturellen Events hin zu weiteren Anstrengungen der Durchlässigkeit und Chancengleichheit. Und immer noch Reibungswiderstand, der sich mit teuren Privatschulen, wenn nicht durch Leistungen, so doch reputationsbewusst abzuheben sucht. Von anderen noch bestehenden Separierungen und Verknöcherungen nicht zu reden.
Wir leben im Geschichtsstrom. Amerikaner haben zum neuen deutschen Weg beigetragen, Amerika hat für den Zusammenhalt einer stabil befriedeten Gesellschaft den Weg im Bildungswesen und in der grundständigen Berufsbildung noch vor sich. Ebenso die EU für ihr Integrationsprojekt. Es sollte in Vergleichbarkeit wechselseitige Impulskräfte freisetzen und Vorbildmuster für weltregionale Zusammenschlüsse der Staatenwelt das Denken nach vorn beflügeln. Kulturelle Lebendigkeit, insbesondere der entführenden Klangwelt erschließt der gefühlten Nähe und Zugehörigkeit in der Perspektive. Empfindsamkeit zeitgleich, von unterschiedlicher Lebenswirklichkeit Sehnsucht der Menschen, in den Staaten und Deutschland: Bridge Over Troubled Water!
Weniger Sonntagsworte: Einer Bundestagssendung zugeschaut, thematisch im Umkreis von Terrorismus und Extremismus und seiner Bekämpfung, Worte des Stolzes auf die „beste“ Verfassung gehört und viele Abstraktionen mehr, vielleicht Studikern bekannt, aber nicht den jungen Menschen in der Bedeutsamkeit, mit der solches Regelwerk Einfluss auf die Einstellungen und Phantasien der jungen Leute haben könnte, einem verhängnisvollen Irrweg entgegen. Was soll da schon „Menschenwürde“ besagen, so ungreifbar, unwirklich, von Erfahrungen unbeleuchtet, nicht ins Herz gesprochen. Und schon geht wieder eine Ping-Pong-Argumentation los, die ein Vielerlei an Widersprüchlichkeit im Raume stehen lässt, als wäre gegen die Wand gesprochen worden. Wie könnte mit Adressatenbezug, um auch junge Leute zu erreichen, transportierend gesprochen werden?
Ich verstehe dich/euch nicht, weiß nicht um deine/eure Erfahrungen. Aber ich verstehe, weil mir die Augen geöffnet wurden, mir die Augen aufgingen, warum mir die Verfassung, unsere Verfassung so viel bedeutet, warum sie mir so wertvoll für unser Zusammenleben ist. Es ist Unsägliches in unserem Land passiert. Das einzelne Leben hat nicht gezählt. Viele Menschen, noch vom alten Krieg traumatisiert, vom Gewehrfeuer, von Bomben und Granaten, Brandwerfern und Gasangriffen, sind in einen neuen gestolpert und haben Vernichtungswerk und Völkermord betrieben, verbrannte Erde und Leichenberge hinterlassen. Menschen waren vor ihren Mitmenschen nicht sicher. Humanität, Menschlichkeit, Mitleid hatten den Unterton von Verächtlichkeit. Gegen diese aufgekommene Menschenfeindlichkeit: wer wert ist zu leben und wer nicht, steht die Menschenwürde unserer Verfassung!
Ich verstehe dich/euch nicht, was in eurem Kopf umgeht, was euch menschenfeindlich, zu Menschenschlächtern macht, darauf aus, Angst und Todesschrecken zu verbreiten. Wie ist es gekommen, dass sich in euch das Mitgefühl nicht regt? Hat die Mutter euch nicht angelacht, euch nicht zärtlich geherzt, beim Weh getröstet, vor Gefahren geschützt? Was hat euch unbedenklich gemacht, die Hemmungen genommen, anderen Menschen das Leben unwiederbringlich zu nehmen. Du könntest den Bruder oder die Schwester töten, die Liebste oder den Freund? Woher kommt der Hass, was haben dir die anderen angetan? Was nagt in dir, peinigt dich, wenn du bloß daran denkst! Ist es wirklich so schlimm, dass du darüber keinem etwas sagen und erzählen kannst?
Demütigung, Erniedrigung tun weh, besonders dann, fehlen irgendwelche Talente, um dadurch bei anderen anzukommen, um mit der Abstemplung leben zu können, als gedemütigtes Wrack leben zu können. Ja, wer die A-Karte gezogen hat, lebt das Pech der Fußmatte. Dagegen Haltung auszubilden und sich in der eigenen Haut nicht unwohl zu fühlen, sich nicht unterkriegen zu lassen, immer wieder aufzustehen, aufrecht harte Brocken einstecken, ist schwer, wenn nicht gar unmöglich, ohne einen rettenden Engel, lohnt aber die Anstrengung, eingedenk der Tatsache, wie es das härteste Schicksal will, beistandslos herausgerissen werden, weder Tag noch Stunde wissend, von fanatischer Hand.
Mir gehen Afroamerikaner durch den Kopf. Sie haben die A-Karte. Die Losung ist richtig: Black lives matter! Es scheint sich etwas zu tun. Doch der Unmut, Ungeduld und Zorn haben die Gunst der Stunde nicht gestärkt. Das Konstruktive hat nicht stattgefunden, das Konstruktive für den verheißenen Traum. Ein Exodus, zurück nach Afrika, ist unrealistisch. Die Frage nach einem Vermögen, um Achtung und Anerkennung auf sich zu ziehen, ist gefragt. Nur so ein Gedanke, der Martin Luther King und Gandhi ins Spiel bringt, wäre, vielleicht mit Biden an der Regierung, ein Rückhalt für zu entwickelnde Gemeinsamkeit, sich gegen das bewaffnete Amerika zur Waffenlosigkeit zu bekennen und tatsächlich mit Haltung waffenlos zu sein und ein Wahrzeichen für die Wildwest-Beendung Amerikas zu setzen.
Wann auch immer, ein neuer Anfang ohne Waffen wird sein, in Amerika wird sich gewiss die Frage stellen: Wer fängt an? Ein starkes Zeichen für die Welt obendrein, die alles gegen ihre weitere Verwandlung in ein Pulverfass gebrauchen kann. Doch dieser Weg, der Traum von fortschreitender Selbstbefreiung und Mitbeförderung einer weniger waffenstarrenden Welt, er wird kein leichter sein. Das Wedeln mit der Wirtschaft, mit den Arbeitsplätzen wird einsetzen. Auch gilt es, Unbill zu ertragen, nicht zu explodieren, sondern das Vernünftige zu überlegen und zu tun. Mit Strohfeuern ist nicht gedient. Ein freundliches Sich-Verstehen bringt Lebensfreude zurück und hilft Durststrecken für nachhaltige Besserung zu überstehen.
Postskriptum
Gratulationen an Joe Biden und Kamala Harris. Eine harte demokratische Bewährungsprobe vor den Augen der Weltöffentlichkeit bestanden. Ein anderes America First!!! Ob das Vorbildliche noch den einen und anderen Kratzer abbekommt, fordert Donald Trump jetzt heraus, für die Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung jetzt ein guter Verlierer zu sein und seinem Charakterzug entsprechend, was ihm zugeschrieben worden ist, zu sein: unberechenbar, nicht nur mutig, gegen alle Etikette gegen andere sich vordrängen und sich Platz verschaffen, auch mutig genug, dem Sieger die Hand zu schütteln und zu gratulieren. Warum nicht: A dramatic match, our election campaign and you won. I did my best, didn't I, Joe! Wir werden sehen!