Nachdenken können
Zeit für Goldstaub haben
Platons Höhlengleichnis
Gattungsverrat
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Für Platon ist der Hintergrund, der zum Entwurf der „Politeia“ und damit auch verdichtungsweise zum „Höhlengleichnis“ geführt hat, der Peloponnesische Krieg. Athen an der Hybris gescheitert, von der Nemesis ereilt und dem Erdboden gleichgemacht. Plato denkt über die Neuverfassung der Politeia nach. Es ist ein Plan des Philosophen für den König, diesem zur Verwirklichung aufgegeben. Von der Schicksalsschwere her, die dem kriegerischen Ereignis im Hergang wie Ausgang für die Verarbeitung innewohnte, lässt sich nach dem II. Weltkrieg die Neugründung der Bundesrepublik Deutschland heranziehen.
Nie wieder Krieg und solche Missachtung der Lebensrechte aller Menschen und ihrer eingeborenen Würde als Gattungswesen. Es wurde eine Verfassung geschmiedet, nicht eine vorbereitende Theorie, einer anderen und günstigeren Zeit aufgegeben, sondern es ging um Wiederherstellung der elementaren Lebensordnung nach dem Krieg, nach der materiellen Zerstörung und dem Missbrauch der Gesetzesgewalt, es ging um allgemeine Grundgesetze für die Selbstüberholung, und zwar sogleich für die Verwirklichung durch und für das Volk bestimmt, wenngleich auch nur jeweils „hälftig“, nach vektorieller Vorgabe und begleitender Aufsicht durch die entzweiten Siegermächte, einander bekämpfend vom gegnerischen Selbst- und Weltverständnis her.
In die philosophische Vorgeschichte der deutschen Katastrophe gehört der wirkungsgeschichtliche Platon, der in Martin Heidegger einen Apologeten gegen die „Seinsvergessenheit“ gefunden hatte. Entwurf und Lichtgestalt des „Anwesenden“ und zu „Enthüllenden“ in Wahrheit, platonisch unterlegt und deutsch aufgefasst, nietzscheanisch verstärkt, das philosophisch Aufgegebene. Heideggers Existenzialismus folgt dem Platon der Polis, einer Polis, die das Werk der Befreiung überhaupt noch nicht für eine Umsetzung aufgegriffen hatte, dann unterläuft Heidegger auch noch den deutschen Idealismus, der auf Descartes schaut und vom „Ich denke“ zum Denken der staatlichen Vernunftidee übergegangen ist, die nicht mehr einen absoluten „Sonnenkönig“ zum Ziel haben kann, sondern den vernünftig verfassten Staat, der für den Fortschritt der Freiheit aller steht und sittlich das rechtliche und moralische Moment zu neuen prinzipiellen Handlungseinheiten von staatlicher Lebenswirklichkeit nach innen und außen samt historischer Perspektive erkannt hat.
Heidegger unterläuft die Fortentwicklungen von Staat, Gesellschaft und Industrie in den Ausdifferenzierungen und komplexen Zusammenhängen durch gräkomane Rückbindung des deutschen Wesens: Arbeitsdienst – Wehrdienst – Wissensdienst, bleibt kartesisch bei „res extensa“ und „res cogitans“ stehen (hegelsch: Dieses – Meinen – Ich, als Synthese das Ich: Dieses und Meines überschauend und wissend), konstruiert die Pole zur „ontologischen Differenz“ von Seiendes und Sein und schafft weder Vertikale noch Horizontale, wird stattdessen Sprachartist des „Seins“, bietet altphilologische Verfremdung mit philosophischem Anspruch in Abgrenzung gegen naturwissenschaftliche Erfolgsmeldungen in mathematischer Formelsprache auf und fällt sachlich auf einen eher agrarwirtschaftlichen denn neuzeitlich bewanderten Verständnishorizont von Industriegesellschaft zurück. Ein Prozess der Aneignung, Auseinandersetzung und Neupositionierung der objektiven Wirklichkeit hat bei Heidegger nicht stattgefunden. Er hat die industrielle Revolution und den europäischen Imperialismus nicht wirklich erfasst und begriffen, sondern ist auch nach dem Weltkrieg in einem anarchischen Imperialismus der Selbstbehauptung steckengeblieben, oberflächlich an den vorherrschenden Signalwörtern der technisch-bedrohlichen Entwicklung von Kriegsgewalt festgemacht. Sozusagen Entmachtung des Seinsdenkens durch das Vorrangige von Berechenbarkeit und Atombombe.
Heidegger fällt auf Platons Denkansatz der Polis zurück, den das antike Rom in erster Selbstanwendung des Verwertbaren aus dem griechischen Gedankengut für sich reell umgesetzt hat, als expandierender Kriegsstaat. Das „Seiende“ in seiner Unwesentlichkeit weiß Heidegger für seine Zeit nach dem I. Weltkrieg als der Höhle zugehörig, das „Sein“ ist der intelligible Überbau, das deutsche Staatsbewusstsein, es der Seinsvergessenheit zu entreißen. Dieses Sein ist das Licht zum Sehen und Entbergen durch den je individuell aufgegebenen Entwurf, politisch durch die „Vorsehung“ mitbestimmt, die der „Führer“ für die „Gefolgschaft“ im Buch „Mein Kampf“ als seinen „Entwurf“ nachlesbar niedergelegt hat.
Heidegger hat die Selbstaufarbeitung in der historischen Substanz philosophischen Denkens abgebürdet, arbeitet sich nicht an den Schwergewichten des Idealismus ab und gewinnt keine strukturelle Unterfütterung auf Höhe der Zeit. Er denkt nicht frei vom ideellen Moment der hervorgebrachten und sachverständig zu meisternden Welt her, sondern existenziell, vom „ in der Welt sein“ her, sich im Entwurf als „Sein zum Tod“ in geschichtlicher Lage vorwegnehmend, sich seinsbewusst ergreifend und bestimmend. Sozusagen ein kritikloses Unterlaufen der Staatenwelt, die, kriegerisch gewillt, „Sein zum Leben“ in Rivalität, Konkurrenz und Inkorporierungen behauptet oder propagiert. Tausendjährig diese, materiell oder himmlisch paradiesverheißend jene. Aber auch wiederkehrend, was die zunehmende Ausdifferenzierung im Fortschrittsprozess angeht: phylogenetisch unreflektiert bezüglich der Wachstumsschübe, die dem Wechselprozess von Ausbreitung und Streckung folgen und der Aufmerksamkeit für Übergänge bedürfen, den Gestaltwandel zu begreifen, ihn nicht zu überfordern oder zu verweigern. Platons Entwurf ist keine Antwort darauf. Popper hat Platon zum Feind der offenen Gesellschaft erklärt. Mit Blick auf Heidegger, der es besser wissen könnte, tut er Platon Unrecht.
Platons Werk ist keine „Bibel“, keine heilige Schrift, die Ewigkeitswert behauptet, die mit „Beschwörungsworten“ gegen die reelle Wissenschaft steht oder hätte zu stehen vermögen. Schon das Folgewerk „Gesetze“ relativiert das Zeugnis des Kronzeugen der Rezeptionsgeschichte: „Politeia“. Willkür der Interpreten wie auch in den Interpretationen zweieinhalb Jahrtausend noch später können nicht gegen das Original zeugen. Wer Heideggers Wiedergabe des Höhlengleichnisses liest (in: Grundprobleme), dem drängen sich nicht nur Kompetenzzweifel auf, der muss sich auch durch den Anspruch auf Wissen vom „Sein“ gegen die „Seinsvergessenheit“ für die Herausforderungen in der Zeit getäuscht wissen. Dubios gerät die Interpretation, auch „Wissen vorzuenthalten und zu verschweigen. Wahrheit und Wahrheit ist nicht einfach dasselbe.“ (Vom Wesen der Wahrheit, S. 32)
Heidegger hat das Höhlengleichnis nicht mit dem einleitenden Satz, der von Bildung und dem Mangel an Bildung spricht, begonnen, sondern an das Ende seines interpretativen Durchganges gestellt. Mit Blick auf die Höhle selbst nimmt sich der Gedanke klug aus, all das Rätselhafte als Entbergung des Verborgenen und Unverborgenen aufzufassen (S. 5), nicht schon als gesichertes Wissen für Übereinstimmungsdenken. So denn wäre zu beginnen mit der Fesselung von Kindheit auf an. Doch Heidegger verpasst die Frage nach dem Anfang, nach Hinweisen, wie denn Kindheit vor knapp 2500 Jahren aufzufassen ist. Wir assoziieren heute in etwa den Beginn der Menschwerdung dieser kleinen Wesen, denken an die Wiege, an mütterliche Liebe, an Wiedererkennen und erstes Lächeln wie auch an väterlichen Stolz und geweckten Beschützerinstinkt, all das mehr oder weniger in der Atmosphäre von Familie heute. Damals nicht! Wer auch immer das neugeborene Leben beschaut und für lebenswert oder nicht für lebenswert befunden hat, das führt diesen barbarischen Sachverhalt in die Antike zurück. Auch noch heute findet sich der Tatbestand vor, dass der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht kein Willkommensgruß, sondern der Tod beschieden ist. Auch die Frage nach der Mutter, nach vermeintlich selbstverständlichen mütterlichen Instinkten kann nicht für die griechische Antike wie selbstverständlich angenommen werden. Nicht selten ersetzt die Amme die leibliche Mutter. Was damals Liebe zwischen Mann und Frau heißen könnte, ist eher leidenschaftlich sexuelles Bedürfnis, dem auch Platon für die Klasse der ‚Wächter‘ leidenschaftsentschärfend beizukommen sucht. Und Psychoanalyse interpretiert die Entstehung von Ödipus- und Elektrakomplex, damals ein sagenhafter Erzählstoff von Neid, Eifersucht und Rivalität und dramatischer Verirrung wie auch schockierender Entdeckung auf Ebene der vornehmen Geschlechter und kein Indiz für ein liebevolles Großwerden im Familienkreis. Wie mögen die Kinder um die Aufmerksamkeit des jeweiligen Elternteils gebuhlt haben und sind aufgelaufen und auch ‚entsorgt‘ worden. Es ist mit Blick in die Breite eher von verwahrloster Kindheit auszugehen, die in heiklen Peergroups sucht, was an Lebenswärme bei den Eltern oder der Amme nicht gefunden worden ist.
Der qualitative Sprung, Lebensglück zu erfahren, ist biblischen Ursprung, reicht im Hohelied der Liebe allerdings nicht in die Kindheit zurück, sondern ist das jugendliche Erwachen der Liebe nicht aller, aber vieler, was ein wunderbares Erkennen in Liebe auf Gegenseitigkeit heißt. Es liegt diesem Erkennen eine Prägung aus der ersten innigen Lebenszeit zugrunde, wie sich Mutter oder Vater und Kind in beglückenden Augenblicken erleben. Das Bewusstsein darüber entsteht später, kennt die Krippengeschichte, die Geburt des neuen Lebens, die Modellbildung der sogenannten ‚heiligen Familie‘. Heute wissen wir im Rückschluss an heutigen Emanzipationsbestrebungen, dass das Erleben von Vater und Mutter massiv ungleich gewesen ist, eine vieltausendjährige paternalistische Lebensweise ausgelebt hat und vorherrschaftlich immer noch auslebt und so auch ohne Skrupel Lieblosigkeiten lebt, die durch vorgeprägte Reflexe eines bloßen Reiz-Reaktion-Verhaltens weitergegeben worden sind. Auch erst aus dem 20. Jahrhundert wissen wir vom revolutionären Gedanken des Dialogischen zwischen Mann und Frau, die sich füreinander auf Augenhöhe als Ich und Du erfahren und so auch zu leben streben. Auch hier wieder ist die unbewusste Vorprägung anzutreffen, im Höhlendunkel geworden, nämlich wie Mann und Frau, Vater und Mutter liebevoll miteinander umgehen und es ihren Kindern weitergeben.
Was Heidegger angeht, katapultiert er sich gleich inhaltsleer ohne Bodenhaftung in die philosophische Höhe der Ideenlehre. Platons Politeia verwesentlicht: Hinauf in den Führerstaat, unterbaut durch Wissensdienst, Wehrdienst, Arbeitsdienst. „Es ist der Hinaufstieg zum Seienden, von dem wir sagen, er sei das Philosophieren im eigentlichen Sinne“. (Vom Wesen, S. 113) Enttäuschend die versprochene Conclusio, die Heidegger als einen substanzschwachen Schwarmgeist einer überhöhten Aura von Antike ausweist: „Und wir gar heute! ‚Platons Ideenlehre‘, - zerrissen ist das Wesentliche und gangbar gemacht für die Flachheit heutigen Daseins: die Ideen als Werte und die ‚paideia‘ (J.M.) als Bildung und Erziehung, - übelstes 19. Jahrhundert, aber keine ‚Antike‘! (Vom Wesen, S. 116) So löste Heidegger den Eingangssatz zum Höhlengleichnis auf. Keine Analyse der Höhlenkindheit, keine pointierte Auseinandersetzung, was denn die „Spiegelungen“ und „Dinge selbst“ angeht. Heidegger ist seine eigene „Ideenlehre“ in der Reflexion auf das, was die Frage nach der Wahrheit zu entdecken aufgibt.
Was für ein Hochmut auf den eigenen Anspruch der Entbergung des Verborgenen und Unverborgenen! Auch ihm ist das neue Frauenrecht der Weimarer Zeit nicht in den Kopf gekommen und hat ihm den Denkanstoß gegeben, eine Verbindung zum „Höhlendasein“ der Frau und zum Höhlengleichnis herzustellen. Die Frau als Lustobjekt des Mannes und endogamer Kollektivbesitz, auf Ebene von Reichtum und Macht für exogame Brückenfunktion preisgegeben, aber auch als Raubgut und Geschäftsmodell der Haltung von Sklavinnen für die Befriedigung von Lustbegierden gut genug. Über Nietzsche bei Heidegger eine ruchlose Polis-Renaissance im nicht aufgehellten Höhlendunkel belassen, aber lichte Urständ des Frauenwesens in Heiratsanzeigen der Presse im Zeitgeist der ausgerufenen „Herrenrasse“ goutiert, akzeptiert? Geliebtes Lustobjekt, das Rasseweib, der verhasste Fremde, der die Frauen nach seinem Geschmack backen, stehlen und rauben kann und nicht nur unbekannte, tödliche Gefahr in der Unberechenbarkeit darstellt und das Vorurteil der Fremdenfeindlichkeit durch befremdliche und nicht einzuschätzende Auffälligkeiten genährt und geprägt hat. Für Heidegger kein Thema am Höhlengleichnis. Das könnte mit Kant für die Interpreten durchweg heißen: Ein Brett vorm Kopf haben und romantiktrunken Liebe und Hass auf ein dörfliches Wahrnehmungsniveau bringen.
Was die Umwendung als Periagoge betrifft, den Versuch, den Gefangenen zu befreien, haben wir ein Beispiel für das Verschweigen, das zu einer mangelhaften Auseinandersetzung und Lösungsgewinnung für den Weg in die Freiheit führt. Das Verschweigen betrifft insbesondere die anstößige Knabenliebe und den pädophilen Liebhaber, von Platon mit Blick auf den Missbrauch der eigentlichen pädagogischen Intention argumentiert. Den Römern ist die Knabenliebe ein griechisches Gräuel, der christlichen Religion ebenso, in römischer Anlehnung der Jugenderziehung verändert fortgeführt: züchtig und keusch, jedoch ohne den Part des Kriegshandwerks der Waffentüchtigkeit, mittelalterlich mit neuen Etiketten im herrschaftlichen Bereich: Page geht in den höfischen Dienst eines Ritters und ist so nebenbei ein dienstbarer Wicht der Edelfrau, als Knappe dann in eindeutiger Zuordnung auf den Herrn wie auf den Waffendienst.
Es erstaunt, dass das Anwendungsfeld der Periagoge nicht den elementaren Rückbezug gefunden hat, sondern wundergläubig himmlische Höhen oder wissenschaftsverstiegen philosophische Selbstbeweihräucherung phantasiert hat, von der Matrix der Maschinenwelt („plop! und „ups!“) nicht mehr zu reden. Obwohl Platon eingangs auf den Unterschied von Bildung abgehoben hat, die in der Höhle nicht gegeben beziehungsweise ungenügend ist und erst nach Umlenkung im Freien wirklich gewonnen wird, hat allerdings dieser Wink mit dem Zaunpfahl kein Licht aufgesteckt, sich Gedanken über den Zustand eines Kindes zu machen, wie es denn die Lichtwerdung des ersten Lebenskreises erlebt, bevor ihm bewusste Selbstgewinnung durch planvolle Bildung nach dem ‚Vaterprinzip‘ geschieht. Unverständlich, dass der Gedanke der Schulreife nicht auftaucht, was sie denn ausmacht und auch das vorher noch Fehlende, aber in Entwicklung begriffene. Nicht im Blick die Anspielungen und Anstalten, nicht zuletzt die zuckrige Schultüte zu hinterfragen, die Sehnsuchtsweckung der Kleinen nach Schule, die Begeisterung des ersten Schuljahres und schon bei einigen ABC-Schützen der Frust und zuweilen auch bittere Enttäuschung nach dem ersten Schuljahr.
Es hilft nicht weiter, die Notwendigkeit eines wirklichen Wissens sprachgewandt zu überspringen, was Höhlendämmer ausmacht und jedem Leben durch Eintritt oder „Hineingeworfensein“ in die Höhle geschieht, als Unmittelbarkeit und noch Unvermitteltes beginnend. Die Entdeckung der frühkindlichen Begabungsplastizität, die vor der sogenannten „Schulreife“ auf Entwicklungsbedarf dieser Lebensphase erkennt, sollte vor der Scheinplausibilität und den irrealen Gedankensprüngen der Interpreten vorsichtig machen. Science Fiction-Vorstellungen, dystopisch mit dem warnenden Zeigefinger vorgetragen, von hochtrabendem und abstraktem Vokabular begleitet, hochkritisch in Bezug auf möglich Gefährdungen von vielerlei Verwahrlosung ausgehend einerseits, dann andererseits hochgelobt die notwendige Beförderung von Begabungen schon in der Kindheit, sozusagen für Bildungsgescheitheiten, hochgeschätzt. Sie sind in der Summe weniger kindheitsförderliche Lebenshilfe als das, was lebenspraktisch Müttern untereinander für Sinnesweckung, Spielerleben und Sprachgewinn an Hilfestellung wird, um Lebensfreude am Tun und Verhalten, Wiederholen und Glücken, an Fortschritten und Rückkopplungen im kleinen Kontext zu genießen und nebenbei auch „Schulreife“ zu gewinnen. Nicht unwesentlich ist in diesem Zusammenhang das, was auf kindlicher Ebene noch traumhaft, halluzinierend und projizierend das Bewusstsein bestimmt, von Gespensterängsten geplagt ist, sich noch nicht elementar durch erste schmerzhafte Gehversuche wie auch durch Irrtumserleben im Spiel zu korrigieren fähig ist, andererseits im Vertrauen auf die Bezugsperson noch nicht genug entwickelt ist, um auf die warnende Stimme zu hören, also sich anleiten zu lassen, um nicht schmerzhaft fühlen zu müssen. Ja, was denn bei den Kleinen als Schulreife zum Kriterium wird, wäre auch bei den Großen, die noch halluzinieren und Gespenster sehen, das Fehlen der notwendigen Wissenschaftsreife, die der Umwendung und Propädeutik als Nachhilfe bedarf, sich die Prägegestalt der Höhle angelegen sein zu lassen und der allgemeinen Wahrnehmung zu erschließen, bevor höhere Weihen der Disziplinen für Abzweckung in Frage kommen können.
Mit Platons „Politeia“ gibt es im Hinblick auf das Wertebewusstsein der Menschenwelt einen weiteren heiklen Punkt, der angesprochen werden muss und nun allerdings dem Denken Platons zugerechnet werden muss. Dieser Punkt betrifft insbesondere die eugenischen Phantasien, die das Verhältnis von Mann und Frau in der Wächtergruppe betreffen. Zunächst sollte es für die Männer Weibergemeinschaft geben, dann für den Nachwuchs eine strenge Zuchtwahl der Besten und schließlich für die Kindererziehung die Unkenntlichmachung der leiblichen Elternschaft, wer denn der Vater und wer die Mutter eines jeden Kindes sei. Im Werk „Gesetze“ hält Platon diese Überlegungen nicht mehr aufrecht, die eher an kopulierende Bonobos und den Tierzüchterverein denken lassen, nicht aber an eine Menschengruppe, von Ritualisierungen geprägt und an eine kritische Auseinandersetzung mit der überkommenen Form. Die kritische Neusicht hat auch nicht auf sich warten lassen. Aristoteles liefert eine grundlegende Neuausrichtung, die es von der Rezeption her bis in die katholische Soziallehre hinein geschafft hat.
Für das Höhlengleichnis ergibt sich im Sinne der Relevanz ein Deutungsproblem, inwieweit auf Ebene der „Spiegelungen“ Weibergemeinschaft und auf Ebene der „Höhle“ Eugenik und Hospitalismus in die Auslegung gehören, da doch die Gedankenkomplexe dem Entwurf der „Politeia“ angehören. Es ist zunächst an die Textsorte „Gleichnis“ zu erinnern, die wesentlich vom gegebenen Inhalt her auf immanente Einlassung verpflichtet und dann für den Vergleich das exemplarische Stück überschreiten und andere Beispiele, die dem einschlägigen Allgemeinwissen zugehörig sind, heranziehen kann. Für einen Oberstufenschüler die Lektüre „Politeia“ vorauszusetzen, um das Höhlengleichnis angemessen interpretieren zu können, ist abwegig beziehungsweise müsste durch Verständnishilfen begleitet sein oder eine sichere Voraussetzung im vorangegangenen Unterricht gehabt haben. Selbst auf wissenschaftlicher Ebene wird der textübergreifende Bezug für die Auslegung in Erweiterung auf Platons Gesamtwerk und auch noch darüber hinaus problematisch und ist nicht mehr sinnvoll abzuverlangen, einfach von den Konditionen der Erarbeitungszeit her gesehen. Selbst fachwissenschaftliche Bezugnahme, sei es um ein stützendes und interessantes Argument oder um einen reputierlichen und dekorativen Aufmacherreiz zu tun, ist ohne methodologische Abklärung von Eingrenzung, Abgrenzung und Stellenwertklärung in der hermeneutischen Textauslegung und Verwendung heikel, skeptisch und hybridgärig zu sehen. Das Höhlengleichnis hat spätestens mit Heidegger eine ontologisch dogmatische Geschichte der Abzweckung, die es notwendig macht und hermeneutisch eine strenge Hinsicht auferlegt, eine gewissenhafte Explikation des Höhlengleichnisses gänzlich zu leisten, nach seinen Teilen und nach seinen Details zu fragen und darauf zu antworten, die textliche Sache selbst zu deuten und intensiv dieses Gespräch mit dem Text zu führen, bevor die Freigabe für Vergleiche, Assoziationen und Einfälle erfolgen kann.
Platon hat Steine des Anstoßes in seinen Dialogen hinterlassen, die der Wertediskussion zugehörig sind. Die Wissenschaft hat sich mit der Position der Wertefreiheit einen schlanken Fuß gemacht, als es im Kampf der Ideologien zu knirschen begann, naives Hinterfragen und Offenlegen als ein Ausbrechen aus den herrschenden Frontstellungen galten und, absichtsgeleitet, gar Indirektheit im Bekenntnis und Standort zum Schibboleth der Freund-Feind-Erkennung gepflegt und praktiziert worden sind. Es wurde die instrumentelle Vernunft der Wertefreiheit erfunden, die ihre besonderen Ergebnisse zur Verwertbarkeit in die berufene Hand der Politik für die allgemeine Entscheidung legt und damit den Wissenschaftler aus der Situation erlöst, mit einer unliebsam wertorientierten Ausrichtung der Wissensgewinnung vielleicht inopportun aufzulaufen. Der Diskurs um die Werte ist noch nicht entschieden. Das bloße Deklarieren von Werten macht noch keine Werte. Sie sind realiter das, was politische Demagogen zu überspielen trachten, nämlich dass Werte je einen Preis haben und der Wert gerade so viel wert ist, wie dafür an Opferbereitschaft einsetzbar ist. Den Demagogen beziehungsweise Meinungsführern werden Versprechungen abgekauft, dass man bei bloßer Hörigkeit ohne sonderliche Anstrengung und Opfer auf wunderbarer Weise, also investitionslos, hinzugewinnen wird. Die Logik der Argumentation scheint unmittelbar zwingend zu sein. Ein Nachrechnen und Nachhalten, Vergleichen und Gewichten findet zumeist nicht statt.
So richtig zunächst der Verzicht auf subjektive Absichten in der Sachdurchdringung ist, so falsch gerät jedoch der Blick auf die Sache, wenn sie nicht strukturell in ihrer Funktionalität, frei von Intentionen des Subjekts, analysiert und rein objektiv verstanden wird und erst dann für eine interessegeleitete Reflexion freigegeben wird. Die Orakelkunst der Griechen kann hier einen bedenkenswerten Orientierungsimpuls beisteuern. Eine Sachlage im Zusammenhang der Teile, vom Wunschdenken des interessierten Subjekts befreit, auf Entscheidungsspitze des zu Überlegenden getrieben, fordert nach der Sachanalyse des Ganzen zur reellen Selbstprüfung für die Handlungsfreigabe einer nach zwei Seiten zu betrachtenden Auskunft heraus. Da heißt es gut überlegen, was in einer Kriegsfrage die Lakedaimonier nicht kritisch taten. Zu sehr selbstfixiert und von sich überzeugt, geradezu leichten Sinnes, um auch noch am Gegner, ihn abschätzig wahrgenommen, Stärken und Vorbildliches erkennen und bedenken zu wollen. Sie vermeinten den Gegner schon erledigt und selbstherrlich brachten sie für die vermeintlich Besiegten die Fußfesseln mit, die sie sich dann selber als Besiegte und Unterlegene für die Sklavenarbeit auf den Feldern anlegen mussten. Der Krieg heute, der mit dem höchsten Wert, mit dem Einsatz des Lebens operiert, gilt weniger als Ultima Ratio denn als Orakelfrage der Präventiven, auch heute noch.
Zurück zur Höhle und zu den Höhlengefangenen. Es ist von Fesselungen die Rede und die Frage ist, ob wir im Schematismus der Sprache nicht bedeutungsmäßig vereinnahmt worden sind. Fesselung scheint demgemäß etwas Negatives zu sein, die der Freiheit entgegen und von Übel ist. Die Höhle mit ihrem Halbdunkel nimmt sich als Kerkerhaft, als Archaisches und zu Überwindendes und hinter sich zu Lassendes aus. Erst Reflexion vermag im Hinblick auf Fesselung eine positive Bedeutung einzuspielen, die sofort einleuchtet. So zum Beispiel Odysseus, der sich an den Mast fesseln lässt, um nicht dem Sirenengesang zu erliegen. In der Vereinzelung dieser Beispielgebung plausibel, doch noch keine geschichtlich zu verstehende Erklärungshilfe. Als bloße Aussage wäre festzustellen: Verführerischer Sirenengesang, der zu sexueller Lust animiert, wird durch asketische Enthaltsamkeit neutralisiert und bezwungen. Die asketische Fesselung durch Disziplin, die sexuelle Gier hemmt, wird zu einem Positivum. Dies führt in die Denkbarkeit, dass die Fesselungen im Leben eine Vorgeschichte haben, die nicht mehr gewusst wird. Was uns heute Steine des Anstoßes sind, hat in der Vorgeschichte Entwicklungsfortschritt bedeutet, der an Funden und Zeugnissen rekonstruiert werden kann.
Für Platon ist das Leben kein unbedingter Wert. Er hat gegen einen guten Freitod nichts einzuwenden und hat mit seiner Position der Euthanasie später gegen die dogmatische Negation durch die Theologie nicht standhalten können. Als teuflische Versuchung des Menschen gebrandmarkt, der da als Geschöpf in Gottes Werk eingreifen und sein Leben beenden will. Hat sich Platon mit seiner Position verirrt oder haben wir etwas nicht richtig in der Entwicklungsgeschichte des Menschen verstanden? Welche Lebenserfahrungen des Menschen können und müssen wir in der Vorgeschichte einsetzen, die ihn legitimieren, seinem Leben selber ein Ende zu setzen. Ich erspare mir das Ausmalen von Beispielen aus der Vorgeschichte im Umfeld von wilden Tieren und grausamen Horden, was es heißt diesem Angriff oder Überfall ausgeliefert zu sein, am Leben bis zum letzten Atemzug festzuhalten und nicht gegen das Verrecken und Verenden seinem Leben selbst ein besseres Ende zu setzen. Angesichts schmerzstillender Mittel und tröstlicher Zuwendungen in auch schweren Krankheitslagen ist heute leicht reden, sich einem zu glaubenden Willen Gottes bis zum letzten Atemzug fügen zu sollen.
Platon hat unterschiedliche sexuelle Veranlagungen des Menschen registriert und kein Werturteil zu Lesben und Schwule geäußert. Anders später theologische Festschreibungen und dogmatischer Hochmut. Welche Vorgeschichte gibt es hier, die Lesben und Schwule toleriert, gleichgültig hinnimmt und nicht wie einen Aussatz an Abnormität verfolgt? Die Neubewertung heute in den fortgeschrittenen Gesellschaften bestätigt die Entwicklungsgeschichte dazu als Vorgeschichte, obgleich wir noch nicht verstanden haben, was Platon hat wertfrei konstatieren lassen, etwas, das die Vorgeschichte dazu noch verbirgt. Hilft die Bibel mit Menschengeschlechtserfahrungen weiter, die von Sodom und Gomorra erzählen, also von Zuständen, die streng gegen dieses hauptsächlich vorgehen und jenes nebensächlich zulassen, ja, vielleicht sogar fördern? Fesselungen sind also auf Doppeldeutigkeit zu reflektieren, als Widerfahrnis und Hemmnis wie auch als Befreiungswert auf Zeit, der menschlichen Epigenese zugehörig und schlichtweg aufklärungsbedürftig. So geraten Antigone und Kreon durch ihre unterschiedliche Lebenswirklichkeit aneinander: Das Gesetz des Gewissens, von dem nicht gewusst wird, von wannen es kommt und wieso es plötzlich zum Antreiber wird. Dem Gewissen gegenüber hier und dem Gesetz des Verstandes, der Rationalität da. Dieser hat Gründe und Zwecke und guckt auf Folgen sucht sich in dieser Klarheit zu erhalten, zeigt sich ignorant dem anderen Rollenleben gegenüber, bloß gebunden durch Götter der Pietät, des Gewissens. Beide noch nicht in Übereinstimmung füreinander. Das Gewissen ist sprachlos, es meldet sich wie ein instinktiver Reflex, es drängt zur Folgsamkeit und zum sanften Ruhekissen, achtet der Umstände nicht, hält sich fest, verstummt auch nicht im Leid, in der Unruhe. Der tragische Konflikt wird durch Eingleichung der verschiedenen Bewusstseinsstufen, durch überformten Gewissenstrieb zur gemeinsamen Gewissensstimme aufgehoben. Das Tragische gehört im Wesentlichen der Vorgeschichte der Gewissensbildung an. Was die neuen Gewissenswächter betrifft: Rückfälle lassen sich nicht leugnen.
Von jeher ist der Mensch ein Gefährdeter seiner Allmachtsfantasien, durch Tabus gepflockt, vom Grenzüberschreiter gebrochen, einem ungewissen Schicksal geradewegs in die Arme. Mit dem wenigen Bewusstseinslicht, das ihm gewaltig vorkommt, wird er zum Versucher von Dingen, die sein Vermögen überschreiten. Für uns Heutige ist die Versuchung im Frankensteinbild samt Homunkulus überliefert und im Menschenpark der Gentechnologie verdächtig, in der Gefahr von Grenzüberschreitungen zu stehen. Der befürchtete Tabubruch lässt schauern und hat eine ethische Lagerbildung auf den Plan gerufen, die dogmatische Kampfpositionen zu dem Zweck eingenommen hat, dass dem Herrgott nicht ins Handwerk gepfuscht wird. Die Abwehrhaltung bröckelt jedoch unmerklich in der Verschiebung von Grenzen. Etwas, was nicht sein soll, ist, findet statt. Ein Abstreifen von Fesseln. Nicht gleich Frankenstein, doch beispielsweise durch Verfahrensweisen in der künstlichen Befruchtung. Einfallstor ist das Gute, das bewirkt werden kann, aber das Schlechte der Nebenfolgen beziehungsweise der Risiken nur im Ungefähr für meisterbar indizieren kann. Das Gewichten und Wägen der Chancen und Risiken ist der kritische Punkt, auf den es ankommt, nicht dass eine Erkenntnisfrucht nicht sein darf, kann der Punkt wie beim Tabu sein, sondern ob das menschliche Handlungsvermögen in der Verhältnismäßigkeit zur Vorgabe der Evolution steht und nicht in Selbstüberforderung ausmündet: Hochmut kommt vor dem Fall. Verletzlicher Stolz, der Kritik nicht an sich heranlässt, kritikempfindlich reagiert. Opfer des Leichtsinns, Risiken verkennend, im Umgang mit höheren Gewalten und Kräften, sei es ökologisch, atomar, genetisch oder revolutionär auf dem Weg: künstliche Intelligenz, ausgegoren oder doch nicht!?
Das Tabu der teuflischen Versuchung hat im Alltag an Überzeugungskraft verloren, das bloß ehrfürchtige Verhalten vor dem Unbekannten ist dem Versuch und Irrtum gewichen. Man kann sich ja korrigieren, sollten Ziele verfehlt worden sein und sollte die Probe auf die Richtigkeit nicht aufgegangen sein. Das ist nicht zu bestreiten, setzt aber die Erfahrung nicht außer Kraft, dass Vorsicht dahingehend gilt, sich vor Dingen zu hüten, die nicht in unserer Gewalt sind. Und von höheren Gewalten, die schicksalsträchtig entgleiten können, war im vorigen Absatz die Rede, die auf Überheblichkeit, Leichtsinn und Starrsinn abgehoben hat: Gefahrenpotenziale des großen Risikos, von Chancen umflort, die insbesondere politische Entscheider in Versuchung bringen, von Verlustängsten, Ehrgeiz und Anerkennungssucht angestachelt, auf begehrte und verführbare Wählerschaft hinaus, um Größe und Macht und Durchschlagskraft zu gewinnen. Hürden und Zeitspannen der Realisierung: Eroberung und Unterwerfung, das nicht seltene Aufzucken von Aufständen und Niederschlagung, Statuieren von Exempeln, um Jochgefügigkeit ohne ein weiteres Aufmucken zu erzwingen. Anders und ganz verrückt der Wunderglaube an die Technik, die Schnelligkeiten von jetzt auf gleich kennt, dann aber, was Mentalitäten des Menschen betrifft, auf Grenzen stößt und gezwungen ist, auch die generativen Veränderungsspannen neu in den Blick nehmen zu müssen.
Politik ist sich häufig genug einer spezifisch großen Differenz nicht bewusst, von der Öffentlichkeit hier und dem Volk da beziehungsweise dem Rauschen im Blätterwald und dem Schneckentempo der trägen Massen nicht zu reden. Es geht vielleicht in der Sache um Wunschvorstellungen, um verspürte Notwendigkeiten, um Veränderungen zum Besseren. Doch plötzlich versagt der Realitätssinn. Wohl gibt es die räumliche Zeitgleichheit durch den technischen „Siebenmeilenstiefel“ in Sekundenschnelle, doch nicht den begehrten kollektiven „Zeitsprung“, wie in etwa bei einer Tablette gegen den Schmerz von jetzt auf gleich. Was Machbarkeit bei Menschen und Völkern in Verhaltensweisen und Rollenmustern und Denkgewohnheiten ist, hat eine eigene Entwicklungs- und Fortschrittszeit. Die Versuchung erzwingen zu wollen läuft auf kriegerische Nichtung und Zerstörung des Widersetzlichen hinaus, ist ein Anrennen gegen geschichtlich Gewordenes und Geronnenes. Das Zerstörerische geht ganz schnell und muss sich nach der Gewaltsamkeit dann doch wie nach einem Heckenschnitt der eigentümlichen Zeit für Wachstum und Entwicklung beugen. So in etwa die mitzudenkende Problemlage der Großen auf der Weltbühne bezüglich politischer Zielsetzungen in Bezug auf sogenannte Veränderungs-, Umstellungs- und Anpassungsnotwendigkeiten: Als Gedankenszenarium noch göttergleich, frei von raumzeitlichen Fesseln, durchgespielt, reell dann von den raumzeitlichen Widrigkeiten, von allmählicher Entwicklung in der Sache selbst ereilt, auf sie unabdingbar zurückgeworfen.
Platons Höhlengleichnis hat als Wurf einer Selbstinterpretation der „Politeia“ Modell für das traditionelle deutsche Bildungswesen gestanden. Wissenschaft schlussendlich als Sonneninsel der Seligen. Pädagogische Befreiungsstufen des Bildungswesens, die zu aufsteigenden Befähigungen und zur „Reifeprüfung“ führen. Merkfähigkeit und operativer Umgang, teils auf Vorstellungsebene und teils auf voller Abstraktionsebene verweisen heute hinsichtlich didaktisch-methodischer Niveaustufen auf Sekundarstufe I und II. für den Übergang in die Erwachsenenwelt. Die Primarstufe wäre bloße bewusstseinsschaffende Ebene, die gegen das bloße Reiz-Reaktion-Verhalten, kollektiv erweitert, eine neue bewusste Vermittlungsinstanz eines weiter gefassten Kreises des Blickfeldes – über Familie und Nachbarschaft hinaus – zwischenschaltet. Das Moment der ersten Einteilung beziehungsweise Differenzierung der Bewusstseinsstufen ist dadurch nicht ausgeschöpft. Ein Prozess der weiteren Differenzierung hat eingesetzt, er hat das platonische Grobraster nach unten wie oben hinter sich gelassen und verwischt, schreitet nach neuen Einsichten und Bezweckungen über das „altehrwürdige“ Erkenntnismodell hinaus.
Die neuen Bestrebungen scheinen bei den gewichtigen Interpreten der philologischen wie philosophischen Zunft in Bezug auf das Höhlengleichnis nicht angekommen zu sein. Der gymnasiale Nimbus besteht fort, auch wenn die Auslese in die Breite gegangen ist und nicht mehr für eine ausgelesene Spitzengruppe steht. Was bei Platon die Klasse der Wächter gewesen ist, hält sich mental als zähklebriger Elitestolz fest und wird auch philosophisch gelehrt. Im Höhlengleichnis bleibt die Mutter-Kind-Beziehung unterirdisch. Für den Bildungsgang zum Sonnenlicht findet ein Losreißen von der Mutter-Kind-Beziehung statt und in der Bildungswelt gilt das Vaterprinzip, die Auslese und Auswahl der Besten für ihn, für Regentschaftsaufgaben in der Welt, für ein patriotisches Selbstbewusstsein von Herrschaft: Demokratie. Die Tiefenstruktur lebt fort. Wir schlüsseln nicht die Prekären auf, wer von diesen die Unfreien, Heloten und Sklaven sind.
Der liebe Gott, der er darum ist, weil er alle liebt, gibt sich nicht einmal den Anschein alle zu lieben. Er ist ein echter Sophist im Spiel mit dem Trug. Er liebt alle, ja, die große Unterschiedlichkeit hat er verschwiegen. Verklausuliert sucht das Märchen ein Licht aufzustecken, das Aschenputtelprinzip heißt und die apokryphe Mutterfigur überlagert. Kriegsparolen zeigen den Stellenwert der Mutter und ihrer Kinder unverschämt offen: Räder (des Kinderwagens) rollen für den Sieg! Die Frau als Gebärmaschine, welche die Kinder der Negativauslese als Kanonenfutter liefert, aber auch hier und da den begehrten Nachwuchs, philosophische Zöglinge für die herrschaftlich ambitionierten Weltherren. Der Schrecken der Periagoge, den Platons Höhlengleichnis aufmacht, ist nicht nur die Pädophilie, verdrängt, abgespalten und dem Bewusstsein entzogen. Er ist auch die Auschwitz-Rampe, das Selektionsprinzip schlechthin für den Grad der Lebenswürdigkeit im Geben von Lebenschancen bis hin zur Preisgabe und Lebenstilgung. Das Mittelbare im Auswärtigen, der direkten Sichtbarkeit von Zurechenbarkeit entzogen, es gehört uns in der Welt an. Die Dimensionen haben sich verschoben, sei es die atomare Gefahr oder das ökologische Risiko oder der ruinöse Wettbewerb mit schwächeren Ländern. Die Frage nach dem Höhlenausgang, um schicksalhafte Verknotungen aufzulösen, wird hier durchaus grundständig auf das Beziehungsverhältnis von ‚Lebensbaum‘ und ‚Erkenntnisbaum‘ zurückverwiesen, bleibt aber in den bevölkerungspolitischen Konsequenzen diffus und widersprüchlich. Es herrscht Verdrängung in Bezug auf rationalen Regelungsbedarf in den Herausforderungen und Erfordernissen, um sich nicht für den Fluch der Schieflage mitschuldig zu wissen und von daher in Verantwortung gehen und sich den Konsequenzen stellen zu müssen.
Das Altehrwürdige macht Platon als wirkungsgeschichtliche Inspirationsquelle zum Problem. Karl Popper hat ihn zwar zum Feind erklärt und ist mit der Diskriminierung jedoch nicht wirklich durchgedrungen. Die Polemik ist eher gegen einen vermeintlichen Platon gerichtet, was vorherrschend mehr von Platon geglaubt und dadurch autorisiert wurde. Im Fokus hätte insbesondere auch das Höhlengleichnis stehen müssen, doch es figurierte vor wie nach unkritisch als klassisches Meisterstück höherer Inspiration, obgleich daran das „Dritte Reich“ als ins Auge springender Rückfall in die Niederungen des Höhlenlebens wiederzuerkennen gewesen wäre. Wer hätte je solch eine Interpretation des Höhlengleichnisses mit Blick auf die Führerdekade gelesen? Die philosophische Aura hat stattdessen das Nachdenken über Gott als Idee des Guten und in Vergleichbarkeit dazu die solare Macht der Sonnengestalt geadelt. Und wenn’s zu kompliziert wird, regiert ein Ausweichen in fantastische Vorstellungswelten, die Platon zum Kronzeugen von imaginären Produktionen und Auslegungen nehmen. Das Höhlengleichnis scheint urbildlich rein und ein Muster tadellosen Strebens zu sein, um dem Höhlenleben zu entkommen, auf Freiheit hinaus, aufwärts zur Sonne. Es ist vergleichsweise wie bei den „heiligen Büchern“, die freilich, wie wir heute wissen, kritischer Gegenlesung bedürfen, um nicht anachronistisch Missverständnissen und mentalen Fesselungen einer vergangenen Lebenswelt zu erliegen. Es liest sich leicht und kritiklos über „vergiftete“ und „bornierte“ Lesekost hinweg. Altehrwürdiges mildert die Hinsicht, gleicht nicht dem Talisman, der, wenn er statt Glück Leid gebracht hat, aggressive Reaktion erfahren, geprügelt oder weggeworfen oder zerstört werden kann. Wer vermöchte dem Höhlengleichnis Schlechtes nachzusagen und könnte die Kritik anbringen, dass es als Glücksbringer, selbst für die Nachdenklichen, versagt hat!? – Was höchste Reinheit der Sprache, sogar mit Blick auf den menschheitlichen Zivilisationsbruch, für das absolut Böse zu leisten vermag, an dieser göttlichen Reinheit, zum erlesenen ‚Soldaten-Brevier‘ (Hölderlin) gefasst, daran hat kindlicher Männerglaube gehangen und er hat die Verwandlung der Lebenswelt in eine Hölle des Krieges und im teuflischen Tun all das durch ein höheres Selbst von sich abzuspalten vermocht.
Grundsätzlich zum Höhlengleichnis: Es kommt nicht auf Wertschätzung überhaupt an, sondern darauf, „wofür“ das Höhlengleichnis und damit auch das Werk „Politeia“ Wertschätzung findet. Nämlich ob es das leistet, was es zu versprechen scheint. Was vermag ein „Entwurf“, in Gleichnisform gegossen, zu leisten? Abbreviaturhaft hineingedacht die Orientierung des Lebens, der politischen Welt, der philosophischen Wissenschaft. Und eine pointierte Skizzierung sollte schon genügen? Darüber ließe sich streiten. Ein wesentlicher Einwand gegen eine bedingungslose Wahrnehmung ergibt sich aus der Tatsache, dass der Entwurf ein Entwurf geblieben ist. Kein Probelauf, keine Abklärung der Schlüssigkeit an der Realität hat stattgefunden, kein Versuch der Verwirklichung ist auf die Beine gestellt worden, um Platons Theorie, im Höhlengleichnis essenziell verdichtet, zu verifizieren beziehungsweise die Tragfähigkeit zu bestimmen und sei es auch nur, um bruchstückhafte Erfahrungen zu reflektieren. Ohne Wahrsager, der den Umsetzungsversuch wagt, ohne Resultat eines angestrengten Prozesses, ohne einen tatsächlichen Bezug auf die Realisierung ist es auch nicht möglich, von einer Evaluation zu reden, die auf nachhaltig Bewährtes, Auszuscheidendes und auf zu Verbesserndes zu erkennen vermöchte. In Bezug auf das Höhlengleichnis ist allerdings von großen Thesen der Freiheitswelt nach wie vor zu sprechen, die einem Hoffnungsträger der Poliswelt gelten. Man liest über diese großen Thesen der Freiheitsstufen jedoch unkritisch hinweg, macht sich keine Gedanken, antithetisch und begreift nicht, was sich hinter den unmittelbaren Auffassungen der Wortanspielungen verbirgt. Die Fragwürdigkeit der Aussichten auf Erfolg und der Bemühungen um Erfolg, ereignisgeschichtlich festgehalten, all das, auch den künftigen ‚Platongestalten‘ der schreibenden Zunft, spielt nicht erst das Scheitern am Ende des Gleichnisses selber, mit der Rückkehr in die Höhle, bestürzende Enttäuschung und Betroffenheit ein, als seien die bewältigten Befreiungsstufen, die Höhle wie abgesunken im Rücken und nun bereits im Licht der neuen Welt, schon ein „gesicherter Besitz“ auf dem Weg zum Ziel: Aufwärts zur Sonne. Dem bestimmenden und bestimmten Wiedererkennen der Erinnerungsgabe aufgegeben, dem der Gegenwart verhafteten Bilderfließen der Höhle entgegen:
- Schatten (Bezug kennen)
- Spiegelungen (Schein erkennen)
- Dinge selbst (Noesis vorstellen)
- Himmelsspiegelungen (Karten verorten)
- Ideen (Um Gewalten wissen )
Im Höhlengleichnis werden keine kritischen Akzente in Bezug auf die Freiheitswelt hineingenommen, die das Intelligible in der Ambivalenz aufzeigen. Zwar liegt keine Schönfärberei vor, aber reine Abstraktionsmomente, die unverdächtig scheinen und an keine Kehrseite denken lassen. Was das Höhlengleichnis rein und lauter als Befreiungsweg anpreist, bringt Platon an anderer Stelle polemisch zur Sprache. Es gibt Gefahren, welche die Freiheitswelt verunreinigen und den Pfad der Befreiung auf abwegige Weise gefährden, so beispielsweise durch falsche und irreführende Götterdarstellungen. Platon erkennt auf Zensur und Zwang und Säuberung zum Zwecke einer reinen Götterwelt. Die zweckdienliche Lüge in dieser Hinsicht des Idealen nicht zu vergessen. Die Problematik der von ihm skizzierten Freiheitsstufen ist ihm wohl weniger in der Ambivalenz bewusst, die notfalls durch die Lüge unkenntlich gehalten werden soll. Der kritisch beleuchtete Erfahrungsweg steht aus, wie er auch heute den Interpreten einer naiven Erörterungsweise in großer Anzahl fehlt.
Einiges Konkretes zu den Aufstiegsmomenten. Wir wissen von Schatten, aus deren Wirklichkeit wir ein Leben lang nicht heraustreten, in deren Bann wir stehen, die mangels Reflexion unmittelbar wirksam bleiben, uns fixieren. Bestes Beispiel dazu sind die wissenschaftlichen Forscher des Höhlengleichnisses, die gar nichts Genaueres der Höhle wie des Erlebens in ihr mehr wissen wollen, sondern sie mit dem Dunkel gegen die Helle ihrer erstrebenswerten Profession abtun und Entscheidendes und Lebensbedeutsames verpassen und uns intellektuell in die Irre führen, von wirklichen Lösungsbemühungen wegführen.
Es sei zugestanden, dass Platon es uns nicht leicht macht und uns mit dem Schattenspiel an der Höhlenwand und mit dem Blick darauf von Kindheit auf an, ohne ihn abwenden oder wegdrehen zu können, vor ein schwieriges Rätsel stellt und verdammt viel Gedankenkraft und Erinnerung aus einem Vorleben abverlangt, sodass wir kaum mehr reflektieren, was wissenschaftliche Wichtigtuer elegant mit dem Höhlendunkel eines Uneigentlichen der sinnlichen Unbeständigkeit gegen das Eigentliche der Wissenschaftshelle und der intelligiblen Klarsicht entschieden abtun. Was außer Acht bleibt, hat mit dem Unsichtbaren zu tun, das unerschlossen bleibt, nämlich über das Sehen hinaus, nicht weniger wichtig, das Fühlen und Empfinden, Spüren und Ahnen.
Die Anmutung der Höhle bei einer ersten Einlassung auf das Höhlengleichnis bringt sie als einen negativen Ort ins Spiel, dem die vielen Übel im Leben der Menschen entspringen und der darum zu verlassen und in Bezug auf Gewohnheiten zu überwinden ist. Und sogleich denken wir assoziativ im Sinne der Bestätigung mit und haben Schlangen, Skorpione und wilde Tiere vor Augen, die in der Höhle lauern könnten, sehen sie nicht mehr als einen Schutzraum und als eine sichere Lagerstätte gegen unberechenbare Gefahren und Widrigkeiten von außen. Diese Sicht der Dinge wird als zu äußerlich gegen die Kopfwelt verdrängt. Man will es intelligenter haben und hat dann auch den Mutterschoß als wundersame Höhle entdeckt, weiß sogar um musikalische Einflüsse von außen auf Embryo und Fetus im Mutterleib. Solche konkrete Reichweite hat Platon nicht vor Augen gestanden, wenngleich auch eine missverständliche und aufklärungsbedürftige Wiedererinnerung der Seele, die den Kontinuitätsgedanken von Vorleben und Nachleben, vermittelt durch das Diskrete, betrifft, das intergenerative Momentum ins Spiel bringen müsste. Doch wer kann das nach so langer Zeit schon wissen, was Platon vor Augen gestanden hat.
Platon bringt die Kindheit in den Blick, die ein Höhlendasein hat und die der Überlegung und Deutung aufgegeben ist und wir müssen vernünftig dieses Dasein in den Blick nehmen, um nicht in Absurditäten zu verfallen. Wir können sogar bis zur Geburt des Menschenkindes zurückgehen, um tragfähiges Allgemeinwissen des ersten Welterlebens und anschließender Lichtwerdung freizulegen, Erlebnisweisen, die mit den Stichworten Urvertrauen und Hospitalismus einen Ausdruck gefunden haben. Hospitalismus spiegelt das Negative und Diskreditierte am Höhlenleben wider, Urvertrauen das neuerkannte Positive, die Höhle als Schutzraum für das Menschenkind, das doch durch diese erste Unmittelbarkeit von Lebenswirklichkeit hindurch muss. Mütterlich: Gestilltwerden und Hungerschreien, natürlich: sanfter Sonnenschein und plötzliches Gewitter. Geborgenheit durch unermüdliche Zuwendung. Intervalle, die größer werden. Aber auch Verlassenheit durch Verwahrlosung und Abwendung, durch Sichselbstüberlassensein, schicksalhaft.
Kindheit lässt nach der Mutter und nach dem Vater fragen, nach ihrer Art und Weise, wie sie für das Menschenkind präsent sind, es ernähren und großziehen, Einfluss nehmen und Richtung geben. In diesem ersten Lebenskreis das Menschenkind, für das alles unmittelbar auf es einwirkt, dem noch kein Licht wie auch keine Lichtung geworden ist. Es gibt Erwartungsfieber der Neugier gegen das noch Unbekannte, voller Spannung auf Überraschendes und Entzückendes, aber ebenso Ängstigung und Fremdeln gegen das noch Unbekannte und fortwährend das Bedürfnis der Rückkopplung nach Bestätigung durch Schutz und Geborgenheit, durch Ermunterung und Tröstung, dem heile Gänschen und der beifälligen Begleitung, dem frohen Lächeln und dem ernsten Gesicht.
Und da überspringen die hochgescheit Wissenden der wissenschaftlichen Höhen zugunsten der Selbstbeweihräucherung diese wichtigen Anfänge des menschlichen Lebens und stehen vor dem Rätsel archaischer Entgleisungen und Zivilisationsbrüche und haben keine andere Erklärung als das Feindbild, es mit Mördern, Banditen, Gangs, Terroristen und Kriegsverbrechern zu tun zu haben, die lebensverächtlich, grausam und brutal wider alle Menschlichkeit an den reuigen Gott erinnern, diese Ausgeburt des Menschengeschlechts von der Erde zu tilgen. Diesen Gott spielen heute die Machthaber in der Welt, die den Teufel mit Beelzebub austreiben wollen, einen Kampf gegen Symptome führen und ursächlich nicht hinzugelernt haben, nämlich zu begreifen, was diese „Barbaren“ dazu bringt, gegen die Unterwerfungsgeste ihres Opfers es weiterhin zu piesacken, allen Hass höllisch auf es abzuladen und es sadistisch abzuschlachten. Weniger drastisch, im Alltag durchaus aufhorchen lassend: das Opfer niederschlagen, es mit Füßen treten und auf es urinieren. Und die Frage, die sich einstellt: Wie können Menschen dies nur Menschen antun? Was muss da im ersten Erleben die Urbeziehungen geprägt und in der Erziehung durch Beispiel und Willensbeugung bloß schiefgelaufen sein?
Die Antwort darauf findet sich bei Platon. Sie hat mit der Höhle zu tun, die sie als zu begreifender Schutzraum ist. Die Urreflexe, vom Mutterschoß und von den ersten Lebensjahren an, sind der Schattenwurf oder der Lichtstrahl in die Zukunft hinein, der durch frühkindliche Erfahrungen kalt und regungslos Erfahrenes hassgetrieben auslebt oder vom hochschießenden Gegenimpuls geweckt wird, doch einzuhalten, Mitleid zu haben und barmherzig zu sein. Die Frage, die sich einstellt, wäre, wie gut ist die Mutterstube in der ersten Lebenszeit des Menschenkindes gewesen. Der Vater, der kommt auch noch gleich dran. Mit Blick auf die Bedeutung der Frau und Mutter ist die wissenschaftsgestützte Entwicklungshilfe heutiger Zeit in Anschlag zu bringen, die den ach so unterentwickelten Völkern wohlmeinend gesonnen ist und die Frauen für ihr Geschäftsmodell zu gewinnen sucht, der Bildung und einem gedrosselten Kindersegen zum Erfolg zu verhelfen. Unbegriffen ist, dass das Wichtigste dieser hochtrabenden Wohltäterkultur fehlt, nämlich die humane Kultur der Mutterstube beziehungsweise des Elternhauses in der ersten Lebenszeit des Menschenkindes, bedroht von Genitalverstümmelung, von Reinlichkeitspraktiken und von rigoros erzwungenem Wohlverhalten der Mechanismen und Riten des Lebenskreises. Was im späteren Leben archaisch hochkommt, hat solcherart Vorgeschichte in der ersten Lebenszeit. Woran nicht gedacht wird: cultura animi!
Die Wichtigkeit der frühkindlichen Einflüsse verdeutlicht Platon am väterlichen Interesse, welche Richtung die Erziehung des Kindes nehmen soll, die es durch das Vergleichsbeispiel ermöglicht, die Zeit der Kindheit im Höhlenleben besser zu hinterfragen. In der Erziehung soll es um den kriegstüchtigen „Wächter“ gehen. Ein Gedoppeltes ist gefragt, am Beispiel des abzurichtenden Hundes aufgezeigt, bissig gegen den Feind, friedlich gegen den Freund. So ist auch das Ideal des kampfestüchtigen Kriegers. Transponieren wir Erfahrungen mit heutigen Hundehaltern in die Elternstube vor zweieinhalb Jahrtausenden zurück, Hundehalter, die ihren Spaß daran hatten Kampfhunde zu züchten und damit locker bis zum ersten Todesopfer umzugehen, dann haben wir auch den Umgang von Eltern mit ihren Kindern in jener Zeit in großer Wahrscheinlichkeit vor Augen, die Kinder, little animals, willkürlich getriezt oder mit Absicht wie Kampfhunde auf die „Tugend“ der Bissigkeit gegen andere und des Wohlverhaltens gegen sich und die Angehörigen, Zugehörigen abgerichtet haben. Wir können hier von Abwegigkeit und Übertreibung absehen, wenn denn die Ideologie der Führerdekade für die deutsche Jugend erinnert wird: Flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl. Vom sexuellen Missbrauch, begangen an Kleinkindern, nicht mehr zu reden. Es funktioniert die Unmenschlichkeit nach dem Freund-Feind-Schema der Hundedressur hier und nach dem Geschäftsprinzip des Marktes da. Von der „Auslieferung“ an Institutionen mit Vertrauenspersonen zu schweigen. Dem Vergleich in Bezug auf Kulturhöhlen aufgegeben: „Sind so kleine Hände, winz’ge Finger dran/Darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann/ Sind so kleine Füße, mit so kleinen Zeh’n/Darf man nie drauf treten, könn‘ sie sonst nicht geh’n …“ (Bettina Wegner)
Philosophische Höhlenforscher, insonderheit in Verbindung mit dem Höhlengleichnis, haben die kulturgeschichtliche Relevanz der Reflexionsnotwendigkeit der Höhle nicht begriffen. Es fängt schon in unserer Lebenswirklichkeit mit dem unbegriffenen Treiben in der Zeit des Faschings und des Karnevals an. Hier der Fratzenspuk, der durch die Dörfer zieht: Hauptsache gruselig, ob als Sensenmann, Dracula, Teufel, dort der Karnevalzug der Kostümierungen und Verkleidungen, lustig: Clown, Affe, Narr. Mit frühgeschichtlicher Bedeutsamkeit die Fragen an das Kind: Mit welcher Maske möchtest du für andere schrecklich und fürchterlich aussehen? Anders: Wer möchtest du denn sein – Ritter, Pirat, Cowboy, Scheich, Häuptling, Nonne, Squaw, Prinzessin, Krankenschwester, Mannequin? Später, größer geworden: Was möchtest du werden? Und die Frage an die Eltern: Wie würdet ihr denn gerne eure Kinder sehen, was würde euch stolz auf sie machen? Eine Basiswirklichkeit für Aufarbeitung, um den Fußpunkt für weltweite Entwicklungshilfe auf Vergleichsebene in den Blick zu bekommen und um den friedlosen Schatten des Höhlendaseins nicht in die Zukunft entspringen zu lassen. Mehr Wissen voneinander kann nur gut tun. Das im Dunkel und hinter Schatten Verborgene verlangt dem Höhlenforscher gründlichere Reflexionsarbeit ab.